Wettbewerb & Markt

«Gigaliner»: Kein Platz in der Schweiz!

Veröffentlicht am 18.10.2023 | von André Kirchhofer

Die EU prüft die generelle Zulassung von Lastwagen mit einer Maximallänge von 25,25 Metern neu auch im grenzüberschreitenden Verkehr. Hauptargument ist, dass mit dem Einsatz von sogenannten «Gigalinern» mehr Aufträge mit weniger Fahrten abgewickelt werden können und der Schwerverkehr damit weniger CO2-Emissionen verursacht. In der Schweiz eignen sich jedoch Strasseninfrastruktur, Topographie und die logistischen Abläufe nicht für längere bzw. schwerere Fahrzeuge. Die ASTAG lehnt eine Änderung der geltenden Masse und Gewichte ab.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Die EU-Kommission will die zulässige Höchstlänge von Lastwagen von 18.75 auf 22,25 Meter anpassen.
  • Sogenannte «Gigaliner» sollen im grenzüberschreitenden Verkehr neu generell zugelassen werden.
  • Die Schweiz eignet sich aus mehreren Gründen nicht für den Einsatz von «Gigalinern».
  • Die ASTAG sieht deshalb keinen Handlungsbedarf.
Ausgangslage

Die EU-Kommission will die Richtlinie 96/53/EG für Masse und Gewichte von Nutzfahrzeugen anpassen. Neu sollen sogenannten «Gigaliner», d.h. Lastwagen mit einer Maximallänge von 25,25 Metern im grenzüberschreitenden Verkehr generell freie Fahrt erhalten. Ihre Zulassung war bisher auf den Binnenverkehr innerhalb von einzelnen EU-Staaten sowie – bei Vorliegen eines bilateralen Abkommens – auf den Verkehr zwischen zwei Ländern beschränkt gewesen. Noch offen ist, ob mit der Anpassung auch eine Erhöhung der Gewichtslimite von 40 bzw. 44 (Kombinierter Verkehr) Tonnen auf 60 Tonnen erfolgen soll. So oder so ist mit Druck der EU zu rechnen, dass «Gigaliner» auf dem Schweizer Strassennetz ebenfalls zugelassen werden.

Unsere Beurteilung

Die Diskussion über «Gigaliner» ist nicht neu. Bundesrat und Parlament befassten sich mit der Thematik schon 2009. Aufgrund von drei Standesinitiativen (NE / LU / GE) sowie einer Motion der Verkehrskommission des Nationalrats KVF-N wurde damals entschieden, die Höchstlänge von Lastwagen – wie bisher schon das zulässige Gesamtgewicht – im Strassenverkehrsgesetz SVG festzuschreiben statt nur auf Verordnungsstufe. Anpassungen müssen seither zwingend dem Parlament vorgelegt werden, d.h. es wäre ein Referendum möglich.

In der EU war die Praxis liberaler. In Schweden und Finnland sind «Gigaliner» mittlerweile weit verbreitet. In den Niederlanden, Belgien, Dänemark, Spanien, Portugal und Tschechien wird ihr Einsatz erprobt. Eine Schlüsselrolle spielte Deutschland. Erlaubt waren zunächst lediglich Versuchsfahrten mit Lang-LKW mit einer Länge bis 25,25 Metern auf ausgewählten Strassen. Das Maximalgewicht blieb gleich. In den folgenden Jahren wurde das Streckennetz jedoch so stark erweitert, dass «Gigaliner» von der Nordsee bis an die Schweizer Grenze fahren können. Seit 1. Januar 2017 ist der Probe- in einen Dauerbetrieb umgewandelt. Mit den Niederlanden schloss Deutschland zudem ein Abkommen, das Lang-LKW den Grenzübertritt zwischen den beiden Staaten ermöglicht. Trotz starker deutscher Unterstützung ist – als nächster Schritt – eine generelle Zulassung von «Gigalinern» im grenzüberschreitenden Verkehr noch offen. Vor allem Österreich stemmt sich dagegen. Das Thema dürfte jedoch auch in den Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU um das künftige bilaterale Verhältnis auf die Traktandenliste kommen.

Unsere Haltung

Für die Zulassung von «Gigalinern» gibt es Pro- und Contra-Argumente. Aus Sicht der ASTAG gilt es vor allem folgende Punkte zu berücksichtigen:

  • teure Ausbauten: Die gesamte Schweizer Strasseninfrastruktur ist auf die bisher üblichen Masse und Gewichte ausgelegt. Für Fahrzeuge, die schwerer und / oder länger sind, wäre eine Anpassung von Brücken, Kreisel, Auffahrten etc. notwendig – verbunden mit massiven Kosten.
  • Wegfall von Strassengeldern: Aufgrund der jährlich zunehmenden Stauproblematik muss die Strasseninfrastruktur nebst Sanierungs- / Erhaltungsmassnahmen punktuell ausgebaut werden. Je mehr Ausbauten speziell für «Gigaliner» vorgenommen werden, desto weniger Mittel stehen für die grundlegende Modernisierung des Strassennetzes zur Verfügung.
  • Kleinräumigkeit der Schweiz: Im Binnenverkehr werden eher kurze Distanzen zwischen mehren Abhol- / Zustellorten zurückgelegt. Der Einsatz von «Gigalinern», deren Effizienz mit steigender Entfernung ohne Ladevorgänge zunimmt, lohnt sich deshalb nur schon aus logistischen Gründen nicht.
  • CH-Topographie: Die Manövrierfähigkeit von «Gigalinern» (Wendigkeit, Beschleunigung) ist gegenüber herkömmlichen Fahrzeugen eingeschränkt. Die zahlreichen Steigungen und Kurven, die die CH-Topographie ausmachen, eignen sich dafür nicht.
  • Risiko für Verkehrssicherheit: Trotz technischen Hilfsmitteln (z.B. Kameras, Assistenten) verengt sich das Blickfeld für die Fahrerinnen und Fahrer, je länger die Fahrzeugseiten sind. Entsprechend ist der «tote Winkel» bei «Gigalinern» grösser – mit negativen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit.
  • Nutzen für Transitverkehr: In der Schweiz könnten «Gigaliner» aus erwähnten Gründen relativ wenig eingesetzt werden. Grösster Profiteur wäre der internationale Transitverkehr; dieser gehört jedoch gemäss Art. 84 Bundesverfassung auf die Schiene.
  • Nutzen für Verlader: Die zusätzlichen Investitionen, die zur Anschaffung von «Gigalinern» zu tätigen wären, können kaum amortisiert werden. Der Grund ist, dass mehr Effizienz nicht zu höheren Renditen, sondern erfahrungsgemäss zu tieferen Transportpreisen zugunsten der Verlader führen würden.

Ein wichtiger Grund für die Bestrebungen in der EU ist der mögliche Beitrag von «Gigalinern» zu einer möglichst grünen Logistik. In der Schweiz stellt sich die Ausgangslage jedoch anders dar. Die ASTAG spricht sich daher gegen eine Anpassung der bestehenden Vorschriften aus. Die geltenden Masse (16.50 bzw. 18,75 Meter) und Gewichte (40 bzw. 44 Tonnen) haben sich bewährt und genügen den Bedürfnissen.